Einer trage des anderen Last
"Was geht das mich an? Es hat ohnehin jeder selbst genug Sorgen und Probleme, die er zu lösen hat. Warum soll ich mich noch um andere kümmern? Außerdem hilft auch mir keiner, wenn es mir schlecht geht."
Solche und ähnliche Gedanken prägen den Alltag unserer Gesellschaft. Immer wieder klopft jemand an die Haustüre von St. Vinzenz und teilt mir mit, dass er ein Problem hat und anderwärts keine Hilfe findet. Als Pfarrer und als Verantwortlicher für die VinziWerke meldet sich in mir sofort das Wort Jesu:
„Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)
Ich will mich nicht auf Zuständigkeiten ausreden, sondern mir die Frage stellen: „Kann ich etwas für dich tun?“ Immer wieder stoße auch ich an Grenzen und weiß mir keinen Rat. Trotzdem halte ich mich an die Worte von Papst Johannes Paul II:
„Sei Realist, verlange das Unmögliche.“
Wenn ich mich in den Hilfesuchenden hineindenke und sein Anliegen ernst nehme, dann bin ich immer wieder erstaunt, wie viel möglich ist.
Unser Herr und Erlöser ist nicht in die Welt gekommen, um eine große neue Weltordnung aufzubauen bzw. zu erzwingen. Er wollte nicht das Unrecht in dieser Welt beseitigen und die berechtigten Wünsche aller Menschen in die Tat umsetzen. Er wollte nur einer von uns sein und das so weit, dass er selber sagte:
„Kommet alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich will das Leben mit euch teilen und die Last eures Lebens mit euch tragen.“ (nach Mt 11,28)
Er hat sogar verkommene und moralisch tief gefallene Menschen nicht verurteilt, sondern sie an sich herangelassen, teilweise sogar in die Gemeinschaft seiner Jünger aufgenommen. Auf die Frage, was jemand tun muss, wenn einer zu ihm gehören will, sagte er,
„Wer mir nachfolgen will, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“
So wie er es bis zur letzten Konsequenz am Kreuz getan hat, werden wir als seine Jünger es nicht können. Aber das Bemühen, das Kreuz anderer zu bemerken, und ihnen beim Ertragen ihres Schicksals behilflich zu sein, ist eine Kernaufgabe christlichen Lebens. Es ist wichtiger, als alle Frömmigkeit, Gottesdienste und Wallfahrten, es ist das Allerwichtigste für einen Christen.
Der Apostel Paulus schreibt an die Christen von Galatien (Gal 6,2):
„Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“
„Liebe deinen Nächsten“ ist zwar die Basis christlichen Lebens. Aber dies darf sich nicht in Sympathie oder Mitgefühl verlieren, sondern es muss dazu führen, soweit man dazu in der Lage ist, am Schicksal des Mitmenschen teilzuhaben und es mit ihm zu tragen. Erst im alltäglichen Umgang miteinander, begreift man, wo man als Christ gefordert ist.
Ihr Pfarrer, Wolfgang Pucher CM