Die Kapelle ist der Ort für die kleine Gottesdienstgemeinde: der Ort der Messfeier am Wochentag, der Ort der feierlichen Taufe und der Seelengottesdienste. Am 31. Jänner 1989 wurde der Bau nach den Plänen des Architekten Irmfried Windbichler von der Behörde genehmigt. Am 2. Juni 1991 weihte Abt Rupert Kroisleitner von Vorau die Kapelle und nannte sie einen Ort des Glaubens, der Hoffnung und der barmherzigen Liebe. Die künstlerische Gestaltung wurde dem akademischen Maler Kurt Welther für Fresken und Bilder zum Thema Barmherzigkeit und Professor Ulf Mayer (1926-2018) für den zu schaffenden Altar und Tabernakel übertragen.
Betritt man die Kapelle, dann fällt der Blick sofort auf die drei Flügel des Altarbildes von Kurt Welther. Eine Tischgemeinschaft wird dargestellt: Arme, Alte, Andersfarbige, Haftentlassene, ein leichtes Mädchen, Sandler, Asylanten - mit einem Wort Menschen am Rand der Gesellschaft. Zwölf an der Zahl, und mitten unter ihnen sitzt Vinzenz von Paul, um mit ihnen, als einer unter ihnen, das bescheidene Mahl einzunehmen. Da wird das Wort Jesu aus Matthäus 25 lebendig: Was ihr den geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan." Diesen Gedanken, den Vinzenz tausendfach gepredigt hat, wenn es um Arme und Bedürftige ging, die auch zu seiner Zeit manchmal so herab gekommen waren, das er selbst meinte, sie hätten kaum mehr das Antlitz eines Menschen: „Mais tournez la medaille et vous verrez Jesus Christ!" (in freier Übersetzung: „Aber blickt hinter die Fassade und ihr werdet Jesus Christus sehen", wörtlich heißt es: „Dreht die Medaille um und ..."). Dass diese Tischgemeinschaft eine Gemeinschaft mit Christus ist, hat der Künstler durch das Antlitz Christi unterstrichen, das auf der Tischfläche sichtbar wird. Zu diesem Bild schrieb John Prager in den Vinzentinischen Nachrichten: „Armendienst ist Gottesdienst. Die Zwölf, die um Christi Antlitz bei der Armensuppe sitzen, erinnern an das Letzte Abendmahl, das Mahl der Liebe Gottes, dessen innerstes Geheimnis nach Vinzenz das Erbarmen ist."
Die beiden Seitenflügel zeigen Szenen der Barmherzigkeit aus dem Leben und der Verkündigung Jesu. Links die bildliche Darstellung, wie die „Sünderin" Jesus die Füße wäscht und von ihm zu hören bekommt: „Ihr wird viel vergeben, weil sie viel geliebt hat." Und auf dem rechten Flügel ist die Szene dargestellt, wie der Hausvater den heimkehrenden Sohn verzeihend in die Arme schließt, der sein Vermögen verprasst hat. Wenn in der Fastenzeit die Flügel des Altarbildes geschlossen sind, wird auf den beiden Tafeln der Gekreuzigte sichtbar, der seinen rechten Arm zum Schacher streckt, um ihn mit ins Paradies zu führen, wobei der Schacher, mehrfach abgebildet, ganz allgemein der Mensch ist, der von der Barmherzigkeit Jesu umschlossen wird.
Mitten unter den Armen sitzt Vinzenz von Paul. Er trägt keinen Heiligenschein, steht auch nicht als großer Helfer über ihnen, sondern gehört zu ihnen. Es ist, als wären die Leute gerade hereingekommen, als Vinzenz sich zu Tisch setzen wollte, um sein einfaches Mahl zu sich zu nehmen. Nun teilt er es mit ihnen. Sind das wirklich Arme? Wer weiß schon, wer wirklich arm ist? Hier sitzen alte Leute, dazwischen Kinder mit tiefliegenden Augen, ein Haftentlassener mit seiner Tätowierung, ein leichtes Mädchen, das wie Johannes beim letzten Abendmahl in besonders liebevoller Nähe zu Vinzenz sitzt, ein Sandler zu seiner Rechten und Menschen aus fremden Ländern, Asylanten. Ihre Gesichter sind nicht sehr deutlich.Vinzenz sagt: „Oft genug haben die Armen überhaupt kein Gesicht, aber drehen Sie die Medaille um, dann werden Sie im Lichte des Glaubens sehen, dass der Sohn Gottes uns in diesen Armen begegnet." Das in der Tischmitte durchscheinende Antlitz Christi lässt die Gegenwart des leidenden Christus in diesen Menschen ahnen. Darum fordert Vinzenz: „Dienen wir den Armen mit neuer Liebe. Erkennen wir vor Gott, dass sie unsere Herren und Meister sind!" Armendienst ist Gottesdienst! Die Zwölf, die um Christi Antlitz bei der Armensuppe sitzen, erinnern an das Abendmahl, das Mahl der Liebe Gottes, dessen innerstes Geheimnis nach Vinzenz das „Erbarmen" ist.
Auf dieses Erbarmen Gottes weisen besonders die übrigen Bilder hin. Zur Linken liegt die nackte, bloßgestellte Frau am Boden. Gerechte wollen mit ihren Füßen auf ihr herum trampeln. Jesus weist diese mit gespreizten Fingern abwehrend zurück und blickt liebevoll auf sie. Mit vielen „verlorenen Schafen", die über das Bild hin zu Jesus laufen, kehrt auch sie zu ihm heim. Im rechten Bild nimmt der Vater seinen verlorenen Sohn wieder auf. Die vollen Krüge über ihm und die gefüllten Körbe am Boden lassen die Fülle des verlorenen und wiedergewonnenen Lebens ahnen. Der ordentliche, daheimgebliebene Sohn kann ein solches Maß an Liebe nicht verstehen.
Auf der geschlossenen Außenseite des Altarbildes befinden sich vier völlig gleich aussehende Schacher zur Rechten des Gekreuzigten. Vielleicht finde auch ich einmal dort meinen Platz, wenn mein Leben vertan und verloren ist. So werden die Armen, die Verlorenen, die Sünder zu Boten, zu Aposteln der erbarmenden Liebe Gottes. Glücklich alle, die ihre Botschaft verstehen und annehmen können!
Die beiden Seitenwände zieren zwei Fresken, links ein breites Band von der Rückseite bis zum linken Fenster nach vorne mit der Darstellung der Hochzeit zu Kana und auf der rechten Wandfläche die Darstellung, wie der barmherzige Samariter dem unter die Räuber gefallenen Juden zu Hilfe kommt. Inhaltlich ist die Parabel vom barmherzigen Samariter unter dem Blickwinkel der Barmherzigkeit leicht einzuordnen, doch schwieriger ist es mit der Hochzeit von Kana. Dort hat Jesus nach Johannes in erster Linie ein Zeichen seiner Sendung für die Jünger gesetzt. Dem Weinwunder an sich kommt eher nachrangige Bedeutung zu. Ohne auf eine Wertung der künstlerischen Darstellung eingehen zu wollen, muss angemerkt werden, dass es zumindest einer „Gewöhnungsphase" bedarf, bis sich die Botschaft der bildlichen Ausgestaltung dem Betrachter erschließt.
Ulf Mayer, der mit dem Werkstoff Holz gut umzugehen weiß, hat für den Unterbau des Altares die ineinandergreifenden Reben der Dornenkrone gewählt als Symbol des Leidens: des Leidens Christi und des Leides der Welt. Dieses Leid ist der Sockel, auf dem das Opfermysterium gefeiert und Gott dargebracht wird. Wie das Leiden des Herrn in der Auferstehung Vollendung erfuhr, so wird jedes Leid bei Gott aufgenommen, dort, wo er „jede Träne von unseren Augen wischen wird".
Der Tabernakel, Ort der eucharistischen Gegenwart des Herrn, zeigt Christus im Gestus des Gekreuzigten in der Darstellung eines von Flammen umgebenen Herzens. Der Künstler zeigt im Bild den verborgenen Herrn, Christus, der in seiner Liebe unter uns gegenwärtig bleibt.
Das geschnitzte Marienbild mit dem Jesus-Kind an der rechten Außenwand in Form eines großen Medaillons bringt einen vertrauensvoll-freundlichen Ton in den Sakralraum, der ansonsten von der Aufforderung zur tätigen Nächstenliebe geprägt wird! Gleichzeitig drücken die Bildnisse aber auch aus, dass jeder, auch der Ärmste, der Verzweifelte, der Heruntergekommene hier Gemeinschaft finden kann.